Müssen Ohren eigentlich gereinigt werden?

Fast täglich werde ich mit dieser Frage in meiner Praxis konfrontiert. Müssen die Ohren eigentlich gereinigt werden? Wenn dies notwendig wäre, wie macht man es richtig?

Hierzu gibt es ein klares – NEIN, die Ohren müssen nicht gereinigt werden. Es handelt sich bei Ohrenschmalz um keinen Schmutz, sondern um eine wachsartige Schutzmasse, die unseren Gehörgang und an dessen Ende das Trommelfell vor Bakterien, Pilzen und anderen unliebsamen Bewohnern, wie z.B. Milben schützt.

Woraus besteht Ohrenschmalz und welche Funktion hat er?

Ohrenschmalz ist eine klebrige Substanz aus Fetten, Drüsensekreten, Talg, Cholesterin und Wachsestern. Es konnten bisher fast 1000 Inhaltsstoffe identifiziert werden. Einer davon ist Lysozym, ein Stoff der antibakteriell wirkt, sowie Bitterstoffe. Beides dient dem Schutz der empfindlichen Gehörgangshaut und der Abwehr von Keimen und Mikroorganismen. Ein sauerer pH-Wert wirkt bakterizid und desinfizierend. Durch seine klebrige Konsistenz bindet es Feststoffe, wie z.B. Sand, Staub sowie Schmutz und transportiert diese mit abgestorbenen Hautschüppchen und Haaren nach draussen. Durch die klebrige Schutzbarriere aus Ohrenschmalz und Haaren im Gehörgangseingangsbereich werden auch kleine Insekten vor dem weiteren Eindringen in den Gehörgang gehindert, der bittere Geschmack des Ohrenschmalz unterstützt die Mikrobenabwehr.

Darüber hinaus trägt das Ohrenschmalz, auch Ohrenwachs (im englischen Sprachraum wird es als Earwax bezeichnet) oder medizinisch Cerumen, zum Feuchtigkeitshaushalt des äußeren Gehörgang bei. Es verhindert das Austrocknen der dünnen Gehörgangshaut und gleichzeitig das Aufweichen derselben, wenn Wasser in den Gehörgang kommt.

Ohrenschmalz wird im ca. drei Zentimeter langen Gehörgang im äußeren Drittel von den Ceruminaldrüsen gebildet. Von dort kommt es allmählich mit dem täglichen Vorschub der Gehörgangshaut und Kaubewegungen nach aussen, wo wir es sehen können. Die Haut des Gehörgangs wächst nämlich von innen nach aussen und nimmt den Schmalz praktisch mit nach aussen und verteilt ihn so auch gleichmäßig. Auf einer festen Phase direkt auf der Gehörgangshaut befindet sich eine bewegliche Phase mit lockererem Schmalz, die auf der festen Phase quasi gleitet.

Ohrenschmalz ist geruchlos. Riecht es, so ist dies meist ein Zeichen einer Infektion. Die Farbe des Ohrenschmalz kann dagegen variieren. Sie reicht von hellgelb über bernsteinfarben bis hin zu dunkelbraun, auch Abhängig vom Alter und Eindickungsgrad des Schmalzes. Dessen Beschaffenheit verändert sich im Laufe des Lebens und unterliegt in seiner Zusammensetzung sowohl dem Alter, dem Geschlecht und hormonellen Einflüssen. Mit zunehmendem Alter wird es trockener und verliert seine jugendliche Cremigkeit. Darüber hinaus ist die Konsistenz des Ohrwachses genetisch determiniert (Chromosom 16) – in Europa dominiert die klebrig-ölige, in Asien die pulverartig-graue Form. Diese trockene Form kann zu vermehrtem Juckreiz im Ohr führen, weshalb es in einigen asiatischen Ländern üblich ist sich die Ohren von Nicht-Medizinern reinigen zu lassen (Ohrenputzer in Indien, Ohrreinigungsinstitute in China).

Hieraus ergibt sich, dass die Produktion von Ohrenschmalz eine ausgeklügelte Abwehrstrategie des Gehörganges ist und man die Ohren keinesfalls davon befreien sollte! Die Ohren reinigen sich selbsttätig und nehmen Fremdkörper und Keime von ganz alleine mit.

Was kann passieren, wenn ich meine Ohren reinigen möchte?

Meine HNO-Arzt-Kollegen und ich raten aus den oben genannten Gründen generell von der Gehörgangsreinigung ab. Viele Menschen reinigen sich die Ohren schon immer und haben keinerlei Probleme damit. Hierzu gehören erfreulicherweise die meisten. Doch wir HNO-Ärzte sehen täglich Patienten, die aufgrund extensiver oder falscher Reinigung kurz- und mittelfristige Beschwerden entwickelt haben, die nun ärztlicher Behandlung benötigen. Jegliche Manipulation in diesem ausgefeilten System (s.o., Zweiphasen, pH-Wert, Konsistenz, Menge, Gehörgangsanatomie…) kann zu nachhaltigen Störungen in demselben führen.

Ohrenschmalzpropf

Zum einen birgt die Ohrreinigung mit einem Wattestäbchen (Q-Tip) die Gefahr, dass man das Cerumen, statt es herauszuholen, in die falsche Richtung, nämlich die Tiefe des Gehörganges schiebt. Der Gehörgang ist S-förmig gebogen und bildet direkt vor dem Trommelfell einen Graben mit einem spitzen Winkel zum Trommelfell. Genau lagert sich das Ohrenschmalz dann ab, klemmt sich fest und löst sich nicht mehr von alleine aus dem Gehörgang. Betroffene Patienten merken dies meist sofort (Ohrenschmalzpropf, „Hören wie durch Watte“). Selbst unternommene Extraktionsveruche sind aufgrund dieser Lokalisation meist zum Scheitern verurteilt und verschlimmern die Situation nur, so dass dann oft nur der Gang zum Arzt bleibt. Manchmal dauert es bis zum vollständigen Verschluss des Gehörganges einige Zeit: es lagert sich mit der Zeit neu gebildetes Cerumen an das in der Kuhle vor dem Trommelfell liegende an, der Propf wird immer größer. Häufig sind meine Patienten sehr überrascht, welche Mengen sich so in der Tiefe des Gehörganges sammeln können („ich reinige doch meine Ohren jeden Tag und immer findet sich auch etwas Ohrenschmalz am Wattestäbchen…“). Typischerweise entwickeln sich die Beschwerden schleichend: an einem Morgen oder nach dem Duschen ist das Ohr zu, im Verlauf geht es wieder auf und man ist eine Zeit beschwerdefrei bis es wieder zu geht und die Abstände immer kürzer werden. Neben einem Völle-, Fremdkörpergefühl und Druck im Ohr beklagen Betroffene auch eine Hörminderung, Schmerzen beim Kauen oder sogar Ohrgeräusche (Tinnitus) oder Schwindelgefühle.

Gehörgangsekzeme- und Entzündungen

Ein weiteres, eher chronisches Problem übertriebener Gehörgangsreinigung ist die Bildung von Ekzemen und Ohrjuckreiz. Wenn über Jahre die Ohrenschmalzdrüsen täglich mit Wattestäbchen malträtiert werden, stellen sie ihre Funktion oftmals komplett ein: es wird kaum oder kein Ohrenschmalz mehr gebildet. Die Folge ist in der Regel eine Millieustörung, die in schuppigen juckenden Gehörgängen resultiert. Einmal entwickelt, lässt sich dieser Zustand nicht rückgängig machen. Im schlimmsten Fall entwickelt sich ein Gehörgangsekzem mit rissiger, stark schuppender Gehörgangseingangshaut, die sich schnell entzünden kann und in der Regel einer täglichen Pflege mit Salben oder Ölen bedarf. Noch vom Gehörgang produziertes Cerumen kann über diese schuppige Barriere nicht mehr an die Oberfläche kommen und bleibt erst recht im Gehörgang – ein Teufelskreis. Das fehlende schützende Cerumen, in der Tiefe lagernde Ohrenschmalzhäufchen und eine angegriffene Gehörgangshaut sind die Gründe, warum Gehörgangsentzündungen bei Menschen, die Ohren reinigen häufiger sind.

Verletzungen von Gehörgang und Trommelfell

Neben den oben genannten häufigeren Problemen können bei der Ohrenreinigung – glücklicherweise deutlich seltener – schwerwiegendere Erkrankungen resultieren: Verletzungen des Gehörganges und des Trommelfelles. Dabei ist nicht die umsichtige Reinigung gemeint. Ich erinnere mich noch, als eine Mutter mit ihrem Kleinkind in den Notdienst der Klinik kam und berichte, was vorgefallen war: bei der Reinigung der Kinderohren mit einem Wattestäbchen klingelte das Telefon, ein kurzer Moment der Unachtsamkeit, das Stäbchen blieb im Gehörgang, die Kleine drehte den Kopf, das Stäbchen stieß an den Körper der Mutter und rammte sich hierdurch ins Mittelohr. Trommelfell und Gehörknöchelchenkette waren zerstört und mussten in einer Operation mühsam rekonstruiert werden. Jeder Hals-Nasen-Ohren-Arzt kennt solche Fälle aus seiner eigenen Praxis.

An jeglichen Manipulationen im Bereich des Gehörgangs von Babys und Kindern muss daher eingehend abgeraten werden! Auch sogenannte Sicherheitswattestäbchen bieten keinen sicheren Schutz vor Verletzungen. Auch sollten Wattestäbchen in Haushalten mit kleinen Kindern außerhalb deren Reichweite gelagert werden: Kinder ahmen die Eltern nach, so dass beim Spiel mit den Q-Tips in den Ohren Verletzungen auch durch die Kinder selbst verursacht sein können.

Wenn ich Ohrenschmalz nun unbedingt entfernen möchte, wie mache ich es richtig?

In unserer Zivilisation ist es leider sehr verbreitet, die Ohren sauber zu halten, da helfen manchmal auch alle ärztlichen Ratschläge und Empfehlungen nicht. Wenn also Ohrenschmalzentfernung, dann richtig!

Keine Wattestäbchen!

Wattestäbchen sollten in jedem Fall vermieden werden. Die Watte fühlt sich zwar flauschig an, für die empfindliche Gehörgangshaut ist sie dennoch grob, Mikroverletzungen können resultieren. Darüberhinaus besteht die beschriebene Problematik mit dem Zurückschieben des Cerumen (s.o.).

Ohrspülung (Ohrendusche)

Am besten läßt man unter der Dusche mit seitlich geneigtem Kopf etwas lauwarmes Wasser in den jeweiligen Gehörgang fließen. Badeschaum oder Haarshampoo entfetten zu stark, daher bitte die Spülung ohne Syndets durchführen. Nach dem Duschen wickelt man ein Kosmetiktuch um den kleinen Finger und kann so ausgetretenen Ohrenschmalz am Gehörgang entfernen. Das funktioniert noch besser, wenn man die Ohrmuschel dabei mit der anderen Hand leicht nach hinten oben zieht. So ist sichtbares Cerumen entfernt ohne dass zu tief in das Gehörgangsmilieu eingegriffen wird.

Besser ist es, nur den sichtbaren Gehörgangseingang von sichtbaren Ohrenschmalzüberschüssen zu reinigen. Neben den o.g. Kosmetiktüchlein eignen sich hierfür mit warmem Wasser angefeuchtete Wattepads oder ein Waschlappen.

Medizinprodukte aus der Apotheke und aus dem Internet

Es gibt in der Apotheke zahlreiche Ohrenschmalzlöser in Tropfen- und Sprayform sowie Hilfsmittel. Die Inhaltsstoffe dieser Ohrentropfen / Ohrensprays variieren, zu den Inhaltsstoffen gehören Öle und Fette (Mandelöl, Olivenöl, Teebaumöl, Polysorbat, Glycerol) als Schmiermittel und zur Erhöhung der Gleitfähigkeit, Alkohole zum Desinfizieren und Meerwasser bzw. iostonische Kochsalzlösung zum Aufquellen, damit das Schmalz flüssiger wird. In vielen Fällen funktioniert die Gehörgangspflege damit gut, insbesondere, wenn das Ohrenschmalz sehr trocken ist, oftmals passiert jedoch gar nichts, das Ohrenschmalz bleibt trotz dieser Maßnahmen im Gehörgang.

Genauso verhält es sich mit den diversen Hilfsmitteln. Während Ohrspritzen und Ohrspülballone das gleiche Prinzip wie die Ohrspülung unter der Dusche verfolgen und damit – nicht zu oft und vorsichtig angewandt – prinzipiell probiert werden können, raten wir HNO-Ärzte von der Verwendung sogenannter Ohrkerzen dringend ab. Durch die Verwendung derselben kann es zu schlimmen Verbrennungen kommen, der Effekt ist außerdem mehr als fragwürdig einzustufen. Daneben bringt die Industrie immer wieder interessante Ansätze zur Reinigung hervor, wie Spiralen, Unterdruckgeräte und Küretten und haarnadelartige Instrumente für den Heimgebrauch. In diesem Zusammenhang muss auf die Verletzungsgefahr hingewiesen werden.

Außerdem sollte man die Reinigungsintervalle möglichst groß alten, tägliche Reinigung ist kontraproduktiv, gegen ein bis zwei mal pro Woche spricht dagegen nichts.

Leider gibt es DEN universellen Tipp bisher nicht. Generell gilt bei der Gehörgangspflege – weniger ist meist mehr. Wer sicher gehen will stellt sich in größeren Abständen beim HNO-Arzt vor um einen möglichen Cerumen-ÜBERSCHUSS entfernen zu lassen.

Wie reinigt der HNO-Arzt den Gehörgang?

Wenn der Gehörgang, sei es durch falsches Reinigen des Gehörgangs, anatomischer Enge oder durch verstärkte Ohrenschmalzbildung nun verlegt ist, sollte man keine heroischen Selbstversuche starten, da dies die Situtation meist verschlimmert und zu Schmerzen, Entzündungen und sogar Verletzungen von Gehörgang und Trommelfell führen kann. In diesen Fällen sollten Sie einen Arzt aufsuchen.

Ohrreinigung Instrumente HNO-Arzt
Instrumente zur Gehörgangsreinigung

Idealerweise sollten Sie einen HNO-Arzt mit der Behandlung betrauen, denn er kann den Gehörgang am schonendsten vom festsitzenden Ohrenschmalz säubern: wir verfügen über ein Ohrmikoskop und feinste Instrumente um das Ohrenschmalz sanft zu lösen und den Gehörgang wieder frei zu bekommen. Meist kann man die Ohrenschmalzpröpfe mit einer Kürette (siehe Abbildung) herauslangen, manchmal bedarf es hier eines winzigen Zängelchens manchmal einen Sauger, wenn das Schmalz sehr feucht und klebrig ist. Eine Spülung des Gehörganges ist dann notwendig, wenn der Propf sehr fest ist und erst aufgelöst werden muss, oder das Cerumen diffus im Gehörgang und auf dem Trommelfell verteilt ist. Gelegentlich, wenn der Schmalzpropf (Cerumen obturans) sehr fest und verkeilt ist, muss dieser erst angelöst werden, bevor er nach einer Einwirkzeit von ca. 20 Minuten herausgespült werden kann.

Oftmals zeigen Gehörgang und Trommelfell entzündliche Veränderungen, insbesondere, wenn sich hinter dem Schmalzpropfen Feuchtigkeit sammelt. In diesen Fällen bevorzugen wir die instrumentelle Entfernung und Vermeiden das Gehörgangspülen um die Entzündungsreaktion nicht noch zu verstärken. Ist schließlich alles Cerumen entfernt kann eine etwaige Begleitentzündung durch den HNO-Arzt entsprechend anbehandelt werden (meist mit etwas Salbe oder eines Gehörgangsstreifens, der einige Stunden im gereizten Gehörgang verbleibt).

Das Reinigen des Gehörganges durch einen erfahrenen HNO-Facharzt tut in der Regel nicht weh. Voraussetzung hierfür ist, dass sich keine Entzündung gebildet hat und man selbst am Ohrenschmalzpropfen nicht zu viel manipuliert hat. Daher bitte lieber früher einen Arzt aufsuchen, als die Reinigung zu lange aufzuschieben.

Werden anschließend die HNO-ärztlichen Empfehlungen umgesetzt, sollten Sie längere Zeit keine Beschwerden mehr haben. Patienten mit chronischen Gehörgangsentzündungen, Patienten mit genetisch bedingt verstärkter und zäherer Ohrenschmalzbildung, engen Gehörgängen, Hörgeräte-, Inear-Kopfhörer- oder Ohrstöpsel-Träger oder Patienten, die bereits eine Gehörgangsentzündung (Otitis externa) im Badeurlaub durchgemacht haben, raten wir die Ohren regelmäßig professionell säubern zu lassen.

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